Bd. 1 Nr. 2 (2023): Musiktheater für junges Publikum - Entwicklung eines Arbeitsfelds
Musiktheater für junges Publikum - Entwicklung eines Arbeitsfelds

Was ist gemeint, wenn vom Arbeitsfeld des Musiktheaters für junges Publikum die Rede ist? Wie hat es sich entwickelt? Welche ästhetischen, institutionellen und pädagogischen Meilensteine macht es aus? Die neue Ausgabe von Klangakt versammelt grundlegende Beiträge aus rund 20 Jahren. Musiktheater wird dabei als Kunstform verstanden, die von professionellen Darsteller:innen dargeboten wird, aber auch von Kindern und Jugendlichen selbst kommen kann und sich in unzähligen partizipativen Formaten vermitteln lässt. Sechs Autor:innen unternehmen den Versuch, Entwicklungslinien der Kunstform und ihren Produktionsformen nachzuzeichnen. Dabei gibt es Überschneidungen aber auch klar voneinander abgegrenzte Fokussierungen. In seinem Beitrag Die Kinderoper – Geschichte und Repertoire einer widersprüchlichen Gattung schaut Gunter Reiß in die Partituren des Musiktheaters für Kinder vom ausgehenden 19. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Insbesondere bei seiner Analyse der Umschlagbilder von Klavierauszügen aus Wilhelminischer Zeit kann er deutlich machen, wie stark sich Ideologien der Zeit in die Kunstform eingeschrieben haben – ein vor dem Hintergrund des heutigen Rassismus- und Kolonialismusdiskurses nochmals brisant gewordener Zusammenhang. Rainer O. Brinkmann arbeitet sich mit Geschichte der Musiktheatervermittlung von den musikalischen Werken der Renaissance bis zur Gegenwart an einer gesamteuropäischen Musiktheatergeschichte ab und stellt die Frage, auf welche Weise sich Musiktheater überhaupt vermitteln lässt. In seinen Artikel lässt er auch persönliche Erfahrungen als langjähriger Musiktheaterpädagoge einfließen. Unter anderem erwähnt er wichtige Netzwerke, wie zum Beispiel die AG Musiktheater in der Kindertheatervereinigung Assitej und ihre Symposien. Dass es durch die Geschichte hindurch immer einen pädagogischen Anspruch bei den zahlreichen Formen für junges Publikum gegeben hat, erzählt nicht nur viel über die Werke, sondern auch über das Wirkungsabsichten der Autor:innen. Aus diesem Gedanken heraus stellt Joscha Schaback in Musiktheater und Kulturelle Bildung den kulturellen Bildungswert von jungem Musiktheater ins Zentrum. Der Abriss vom Jesuitendrama bis zu heutigen Jugendclubs beschränkt sich aber nicht nur auf die pädagogischen Absichten, sondern auch auf die Institutionen, in denen junges Musiktheater entstanden ist. Auch Christiane Plank-Baldauf gibt einen Querschnitt der Entwicklungsgeschichte des Musiktheaters für junges Publikum bis zu den Jungen Opernabteilungen in Stuttgart oder der Deutschen Oper Berlin. Ihr Ansatz ist jedoch stärker ästhetisch. Man erfährt in ihrem Beitrag, auf welche Weise die Werke von Handlungsbegriffen geprägt werden und wie neue Erzählformen, besonders im zeitgenössischen Musiktheater für Kinder, Einzug halten. Deutlich wird, wie wichtig zeitgenössisches Musiktheater für die multiple sensorische Wahrnehmung und für das Kunstverständnis seines jungen Publikums sein kann.
Fast alle neueren Beiträge dieser Ausgabe gehen auch auf die Entwicklungen der Freien Szene ein. Mit Dorothea Lübbes Zur Lage des Freien Musiktheaters für Kinder und Jugendliche in Deutschland jedoch stehen freie Musiktheaterformen im Zentrum. Die Autorin verdeutlicht, welche Vielzahl von Gruppen mit höchst unterschiedlichen künstlerischen Profilen existieren, analysiert ihre Arbeitsweisen, ihr kulturpolitisches Umfeld und gibt wichtige Einblicke in ausgewählte Produktionen. Die Freie Szene stellt sich einmal mehr als wichtige ästhetische Stimme in der Theaterlandschaft dar, die in ihrer künstlerischen Ausrichtung, ihrer Mobilität und ihren Produktionsbedingungen ein anderes Publikum erreichen kann als die großen Häuser.
Sechs Abrisse ergeben noch keine gültige „Geschichtsschreibung“, können aber helfen, das Feld besser zu verstehen. In allen Beiträgen wird deutlich, dass Musiktheater als Kunstform, als pädagogisches Instrument und als Arbeitsfeld einen faszinierenden Gegenstand darstellt, der sich mit ungeheurer Geschwindigkeit entwickelt.