Aktuelle Ausgabe
Musikalische Kompositionen sind für das Musiktheater für junges Publikum und für die Musik(theater)vermittlung in mehrfacher Hinsicht von großer Bedeutung. Einerseits werden gerade in diesem Kontext überdurchschnittlich viele neue Kompositionen in Auftrag gegeben. Andererseits spielen Kompositionsformen und -prozesse, die über das klassische Verständnis einzelner Autor*innen „im stillen Kämmerlein“ weit hinausgehen, verstärkt eine Rolle: Bereits bestehende Kompositionen werden neu interpretiert, manches entsteht in Einzel- und Gruppenimprovisationen während eines Probenprozesses, anderes erst in der Aufführung selbst, und das alles häufig unter der Einbeziehung von Menschen mit sehr unterschiedlichen musikalischen Erfahrungen. Die deutschen Übersetzungen des lateinischen Worts „com-ponere“, das so viel wie „zusammen-stellen“, „gestalten“ oder „anordnen“ bedeutet, weisen bereits auf einen solchen vielfältig zu verstehenden Kompositionsbegriff hin, der den Prozess und den sozialen Aspekt des Komponierens miteinschließt.
Die siebte Ausgabe von Klangakt illustriert anhand von Praxisperspektiven, Gesprächen und Analysen diese Vielfalt an Kompositionsprozessen in ästhetischer, praktischer und musikalischer Hinsicht. Die Erfahrungsberichte der Kinderoper Köln und des QuerKlang-Projekts zeigen verschiedene Ansätze und Strategien partizipativen Komponierens und perspektivieren so traditionelle Entstehungsprozesse im Musiktheater. Die Komponisten Thierry Tidow und Sam Penderbayne erlauben einen Einblick in ihre persönlichen Strategien und Methoden, die ursprünglich für junges Publikum entwickelt worden sind, letztlich aber die Art und Weise des Komponierens selbst zur Frage machen. Die Aufschlüsselung des Begriffs der „Rekomposition“, wie er vom Stehgreiforchester verwendet wird, beschreibt das Spannungsfeld zwischen Transkription bzw. Arrangement, Improvisation und Rekreation im Wechselspiel von Freiheit und Verantwortung gegenüber dem Repertoire, den Interpret*innen und dem Publikum.
Neben diesen spezifischen Praxisbeispielen blicken einige Artikel dieser Ausgabe mit weiterem Blick auf das Komponieren im Musiktheater für Kinder und Jugendliche bzw. in der Vermittlungsarbeit: Matthias Rebstock analysiert die Strukturierung des beruflichen Feldes durch die Übertragung der Ergebnisse seiner Studie über Das freie Musiktheater in Deutschland auf den Bereich des Jungen Musiktheaters. Sebastian Hanusa untersucht, wie sich einige Forderungen des Mannheimer Manifests von 2009 in den Jahren seither in kompositionsästhetischer Hinsicht niedergeschlagen haben bzw. weiterentwickelt wurden. Theresa Schmitz gibt Kindern eine Stimme, die sich zu den für sie entwickelten Stücken äußern und überprüft auf diese Weise die Effizienz einiger der musikalischen Strategien, die von Komponist*innen aus ganz Europa angewandt worden sind.
Eines zeigen die meisten der hier versammelten Aufsätze: Die Fragen, die sich im Rahmen des Komponierens für junges Publikum stellen, unterscheiden sich nicht fundamental von aktuellen Fragestellungen des Komponierens für das Musiktheater tout court: Wie sind individuelle und kollektive Autorenschaft zu diskutieren? Wo situiert sich eine künstlerische Arbeit in der breiten Zone zwischen Prozess und Ergebnis? Und vor allem und immer wieder: Wie ist das Verhältnis zur Rezeption? Die künstlerische Innovationskraft des jungen Musiktheaters hat historisch vielfältige Gründe – nicht zuletzt auch ökonomische, schließlich steht hier häufig weniger Geld zur Verfügung als für die „großen“ Produktionen und Institutionen. Dass man sich künstlerisch-avantgardistische Dogmen so kaum leisten kann und will, muss für die künstlerische Qualität keineswegs ein Schaden sein.
